Istanbul und die ersten Tage in Ghana
oder: Ein Tag ohne Palaver ist kein richtiger Tag...
...so müsste wohl das Motto für Ghana heißen. Aber ich fange von vorne an.
Julia, Paula, Janina und ich legten auf dem Weg nach Accra noch einen zweitägigen Stopover in Istanbul ein. Nachdem wir den freundlichen jungen Mann, der für seine Ortsauskunft Geld haben wollte abgewimmelt hatten, fanden wir auf einigen Umwegen durch Sultanahamet zu unserem Hostel mit Dachterasse und Blick auf die blaue Moschee. Was das Wetter anging, war Istanbul eine gute Vorbereitung auf Ghana – theoretisch zumindest, da es in Accra gerade relativ kühl ist und die Sonne selten scheint. Außer im Touristenviertel sahen wir wenig Frauen auf den Straßen und einige Männer ließen es sich nicht nehmen und von oben bis unten zu mustern und uns Liebesgeständnisse zu machen. Neben der blauen Moschee und dem Großen Bazaar, wo jeder zweite Laden Schmuck verkauft und jeder dritte Pashmina Schals, liefen wir auch zum Galata Turm (außerhalb des historischen Viertels Sultanahamet) und merkten spätestens da, dass zwei Tage Aufenthalt viel zu kurz sind um einen richtigen Eindruck von der Riesenstadt zu verschaffen. Allerdings waren wir alle vier gespannt auf Ghana und froh am Donnerstag endlich im Flugzeug nach Accra zu sitzen.
Dort wurde uns ein lustiges Schauspiel geboten bzw. ein kleiner Vorgeschmack auf Ghana. Die meisten Nigerianer und Ghanaer im Flugzeug hatten mindestens zwei Koffer als Handgepäck und dann begann ein Mann so lange mit den bereits völlig entnervten FlugbegleiterInnen zu diskutieren, bis er neben seiner Frau und seinen Kindern sitzen durfte. Mit 45 Minuten Verspätung gings dann los Richtung Ghana, über Lagos in Nigeria. Anweisungen der Crew, wie Anschnallen und Bitte nicht Aufstehen wurden generell ignoriert, Ghanaer scheinen nämlich um alles zu verhandeln und diskutieren gerne erst 20 Minuten bevor sie sich auf etwas einlassen (wie wir inzwischen gelernt haben).
Wir kamen wir gut in Accra an -dachten wir-, bis nach einer Stunde unser Gepäck immer noch nicht da war. Julia und ich hatten jeweils ein Gepäckstück, die restlichen 5 von Paula, Janina, Julia und mir fehlten aber. Ich hatte schon ein paar Kofferträger in Nigeria in Verdacht, wo unser Flugzeug zwischengelandet war, aber wir hatten Glück; unsere Sachen kamen am nächsten Tag unbeschadet in Accra an und wir konnten sie am Flughafen abholen.
Johannes, der letztes Jahr auch von der Uni Gießen aus ein Semester in Ghana studiert hat, ist gerade für sechs Wochen zurück in Ghana und hat uns alles auf dem Campus so einiges gezeigt und erklärt, was wir irgendwie wissen müssen. Das ist so Manches und reicht von ghanaischer Etiquette zu sämtlichen Eigenheiten wie der bereits erwähnten Lieblingsbeschäftigung der Ghanaer: Palavern. Hier ein kleiner Vorgeschmack:
- NIE die linke Hand benutzen (damit wird nur das Klopapier angefasst, mit links winken, essen, bezahlen, etc. ist eine Beleidigung (es sei denn man isst gerade mit recht und entschuldigt sich dafür); Weißen wird es aber zwar manchmal nachgesehen, weil sie kulturell oft eh ein bisschen unsensibel sind, aber wenn mans weiß, kann man und frau sich ja auch danach richten).
- Ein Tag ohne Palaver ist kein richtiger Tag. Hier wird diskutiert und verhandelt wann immer sich eine Gelegenheit ergibt. Bei der Registrierung für die Uni, beim Ausleihen von Bettlaken, beim Einkaufen auf dem Markt, bei den Taxipreisen... und das Ganze am besten auf Twi, einer der meistgesprochensten ghanaischen Sprachen -die wir (noch) nicht ganz perfekt können.
- Warum einfach, wenns kompliziert geht? Ghanaer lieben Tabellen und Hefte, in die sie diese eintragen können, wie zum Beispiel bei der Zimmerbesetzung im Student Hostel oder die Hotelrechnung. Wir eine Zelle falsch ausgefüllt, wir sie nicht einfach durchgestrichen, sondern eine neue Tabelle gezeichnet.
- Autofahren: Obwohl die meisten Dinge hier scheinbar viiiel langsamer und gemächlicher ausgeführt werden und statt Excel noch mühevoll selbst gezeichnete Tabellen verwendet werden: Beim Autofahren zählt Schnelligkeit und Egoismus. Hupen heißt soviel wie: „Ich seh ein Oburoni“ oder „Aus dem Weg“, „Vorsicht, ich komme“, „Willst du mitfahren?“, „Fahr los du Pfeife“. Wenn auf einer zweispurigen Straße mindestens fünf Autos vor einem fahren, direkt vor einem ein großer dicker Reisebus, wenn noch ein paar Menschen am Straßenrand laufen und eine enge Kurve kommt, DANN ist es an der Zeit mal alle zu überholen. Im Stadtzentrum von Accra ist das aber nicht mehr möglich, da ist oft soviel Verkehr, dass man für wenige Kilometer Stunden braucht.
- Strände haben eine andere Konnotation als im kollektiven Gedächtnis vieler Deutscher, die gerne ans Mittelmeer oder die Ostsee fahren. Glücklicherweise wurde ich mir dessen erst nach dem Strandspaziergang bewusst, bei dem ich zu einer Bekannten noch halb entsetzt meinte „there's a lot of (dog) poo here“...
- Weiße werden Oburoni („Obroni“) genannt, was im Gegensatz zu den deutschen Bezeichnungen für Hautfarben aber keine negativen Konnotationen hat. Oburonis sind Leute aus Übersee, i.d.R. haben sie helle Haare und Haut. Manchmal versuchen sich Kinder im „Betteln“ und rufen „Oburoni Cash“ oder „Ooobroni, give me one dollar, oooobroni, give me one dollar“. Oft sind solche Kinder nicht direkt hilfsbedürtig. Die Assoziation, die Europäer und US-Amerikaner in vielen Köpfen hervorrufen sind aber eindeutig: Von da kommt Geld ins Land. Guten Abend, Entwicklungshilfe!
- In vielen Dörfern habe ich Häuser gesehen, die in den Farben von Vodafone, MTN, tigo u.A. (Handynetzbetreiber) gestrichen sind. Da haben sich die Marketingbeauftragten ja günstige Werbeflächen einfallen lassen!
Die Liste könnte noch viel länger
sein und wird es bald sicherlich auch werden.
Aber wie ihr jetzt schon lesen
könnt ist hier alles irgendwie spannend und auch lehrreich, da so viele
Dinge, an die ich normalerweise überhaupt nicht mehr denke, hier erstmal
ziemlich anders scheinen. Ein Lächeln ist jedoch universell verständlich und
wenn man dann aus Versehen doch mit der linken Hand bezahlt hat oder wenns
einem das Twi oder Englisch verschlägt: "Sorry for the left" und
Lächeln :).
Demnächst mehr von einer
Exkursion zu den Sklavenforts an der ehemaligen Gold Coast und unserem
wohlverdienten Strandurlaub in Anomabo und und und...
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